Das Totenbrett
Der Böhmerwald war seit jeher ein Ort magischer Kräfte und verborgener Geheimnisse. Zu diesen gehört auch der eigenartige Brauch des Böhmerwälder Volkes, Totenbretter aufzustellen. Diese wurden zu einem seltsamen Mahnruf des Todes und einer Möglichkeit, die Toten zu ehren und oftmals auch mit ihnen sprechen zu können. Die Totenbretter waren nicht nur ein Ausdruck der volkstümlichen Mystik, sondern berichteten auch über das Leben der Menschen in abgelegenen Einöden zu bitterkalten Winterzeiten. Als im Winter die Häuser, Hütten und Wege mit tiefem Schnee verweht waren, konnten die Verstorbenen nicht bestattet werden. Deswegen musste die hiesige Bevölkerung eine Möglichkeit finden, die Bestattung bis in die Zeit hinauszuzögern, in der die Natur eine würdevolle Beisetzung der Verstorbenen ermöglichte.
Der Verstorbene wurde auf ein glattes Totenbrett gelegt, auf dem er solange blieb, bis der Schnee dahinschmolz. Dem Verstorbenen in Festkleidung wurden seine Hände mit dem Rosenkranz zusammengebunden, die Augen wurden ihm geschlossen und sein Kinn unterbunden, so dass sein Mund geschlossen blieb. Er lag dann auf dem Brett in der kühlen Kammer oder im Holzschuppen so lange, bis der Schnee geschmolzen war. Wenn der Tote im Frühling bestattet wurde, ließ die Familie das Brett mit seinem Namen, seinem Geburts- und Sterbetag und einem Vers oder Vaterunser für die Seele des Verstorbenen versehen. Totenbretter wurden durch Maler sowie Schnitzer geschmückt, es entstanden sogar spezialisierte Werkstätte, die sich mit dem Schmücken der Totenbretter befassten. Das Brett wurde am Weg zum Bauernhof oder zum Haus, an einem Kreuz, an einer Kapelle oder unter einem symbolischen Baum aufgestellt.
Sie dienten auch Wanderern zur Orientierung, weil die Inschriften auf den Brettern den Namen des nächsten Bauernhofes oder Ortes angaben. Wer in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg die Umgebung von Eisenstein besuchte, blieb an einsamen Gebirgswegen oder in den tiefen Wäldern dieses westlichsten Teiles des Böhmerwaldes an diesen kleinen Kunstwerken stehen, die als ein Ausdruck des gestalterischen Gefühls durch die fleißigen Hände der hiesigen volkstümlichen Schnitzer, Schreiner oder Maler geschaffen wurden. Gleichzeitig galt, dass jedes Dorf, jede Schreinerwerkstatt sich mit einem originellem Stil brüstete. Manchmal wurde auch ein universelles Brett verwendet, an das nach und nach die Namen der verstorbenen Familienmitglieder hinzugefügt wurden. Diese Orte waren für die Vorbeigehenden mit der Idee der vertrauten Heimat, mit einem ständigen Gedenken an ein tatsächliches, oder grundloses Ereignis verbunden. Auch die Aufgabe dieser Stellen als Orientierungspunkte und Raststellen an langen, manchmal nicht markierten Wegen, war nicht unerheblich.